Pilgerweg des Vertrauens in Ägypten

Vom 27.09.-01.10.2017 nehmen Sr. Nadya Ruzhina und Sr. Verena Leinen am Pilgerweg des Vertrauens in Ägypten teil.

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Bischof Thomas Anba

Viele Jugendtreffen hat die Gemeinschaft von Taizé bereits in den verschiedensten Ländern weltweit unter dem Titel "Pilgerweg des Vertrauens" ausgerichtet, doch diesmal war es zum ersten Mal in einem arabischen Land. Dies war Dank ihrer guten Beziehungen zur koptischen Kirche und insbesondere zu Bischof Thomas Anba möglich.

Sr. Nadya und ich lernten Bischof Thomas Anba vor 2 Jahren in Taizé kennen, als wir dort an einem Treffen für junge Ordensleute teilnahmen. Sein eindrückliches Charisma und seine tiefe Spiritualität zogen uns in den Bann und machten uns neugierig auf „Anafora“ – das Retreat Center, welches er, u.a. inspiriert von der Atmosphäre in Taizé, 1999 in der Nähe von Kairo geschaffen hat. Wie freuten wir uns, als 2 Jahre später tatsächlich eine Einladung ausgerufen wurde, an einem Taizétreffen in Ägypten teilzunehmen und den Ort „Anafora“ hautnah zu erleben.  Als wir dann auch noch die Erlaubnis bekamen, diese Pilgerfahrt mitzumachen, waren wir voller Freude, Dankbarkeit und Erwartung.

Anafora ist schon ein sehr besonderer Ort, liegt er doch am Rande der Wüste, wo das östliche Mönchtum seinen Ursprung hat.  Dort entstanden die ersten Klöster, Koinobien. Die Koinobiten, also die Mönche, die in einem Koinobion leben, bezeichnet der Hl. Benedikt als die "hervorragendste Art der Mönche" und schreibt für sie seine Regel. Es war also nicht nur eine Reise zu einem außergewöhnlichen Taizétreffen, sondern  für uns auch eine Reise zu den Wurzeln unserer Ordens-Spiritualität.


Anafora bedeutet so viel wie "den ganzen Menschen aufrichten". Der Mensch, oft niedergedrückt von Sorgen und Lasten, darf da sein, einfach Mensch sein, ausruhen und sich im Gebet und in der Stille von Gott aufrichten lassen.

Anafora ist aber nicht nur eine spirituelle Oase in der Wüste des Alltags, sondern tatsächlich eine Oase in der Wüste: ein großes Gelände wunderschön angelegt, liebevoll gestaltet mit viel Grün und besonderen Wasserbecken, die nicht zum Baden dienen, sondern die Kostbarkeit des Wasser deutlich machen.  Die Gebäude passen in ihrem Stil wunderbar an diesen Ort und sind voller (biblischer) Symbolik.

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Eine koptische Ordensschwester zeigt uns Anafora "von oben"

Vor Ort lebt eine koptische Schwesterngemeinschaft zusammen mit vielen freiwilligen Helfern und Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die alle liebevoll dafür gesorgt haben, dass es uns Gästen gut ging.

An dem Treffen nahmen insgesamt 200 junge Leute teil. Davon die Hälfte aus Ägypten und die andere Hälfte aus den verschiedensten Ländern aus aller Welt. Ganz besonders zu erwähnen sind hier die jungen Christen aus dem Irak, aus dem Libanon und aus Äthiopien. Es war eine sehr bunt gemischte Truppe mit Christen und Christinnen aus den verschiedensten Konfessionen, die ihren christlichen Glauben unter ganz unterschiedlichen Lebensumständen leben. Was für ein hohes Gut ist doch die Religionsfreiheit, die wir in Deutschland haben! Für die Christen aus dem Irak und aus Ägypten, die wir dort getroffen haben, ist diese Freiheit fast nicht vorstellbar. Der Schmerz darüber wurde nicht verschwiegen und gleichzeitig war bei diesen jungen Leuten die  Freude am Glauben nicht getrübt und es beeindruckte mich sehr, mit welcher Friedfertigkeit und welchem tiefen Gottvertrauen sie ihren Glauben leben. 

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Gruppenbild aller Teilnehmenden

Die ersten zwei Tage verbrachten wir ganz in Anaphora. Bischof Thomas gab an 2 Nachmittagen eine Einführung in die Besonderheiten der koptischen Kirche und verzauberte uns nebenbei wieder einmal mit einer sehr anschaulichen interaktiven Predigt. Frere Alois, der Prior von Taizé, gab eine Bibeleinführung, anschließend tauschten wir uns in Kleingruppen über den Bibeltext aus. Gegen Abend gab es eine Auswahl an Workshops zu verschiedenen Themen. Umrahmt waren die Tage von einer morgendlichen Eucharistiefeier im koptisch orthodoxen Ritus, dem Mittagsgebet im Stil von Taizé und dem Abendgebet, eine Mischung aus dem Abendgebet der Anafora-Gemeinschaft und einem Taizé-Gebet. An der Eucharistiefeier im koptisch orthodoxen Ritus teilzunehmen, war ein ganz besonderes Erlebnis.  Zwar es trotz schriftlicher Übersetzung gar nicht so einfach war, dem Ablauf zu folgen – denn die Feier war in Arabisch mit einigen Passagen und Gesängen in der alten koptischen Sprache, dazwischen immer wieder mal ein bisschen Englisch - dennoch war die Liturgie berührend und tief.

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Gemeinsames Gebet in der Kirche von Anafora

Nach den beiden ruhigen Tagen in Anaphora folgten 3 Tage, an denen wir unsere Oase verließen und die Gegend unsicher machten, bzw. uns in die unsichere Gegend wagten. Ägypten war in den letzten Monaten immer wieder von Anschlägen des IS heimgesucht, die gezielt gegen Christen gerichtet waren. In den Monaten Juli und August waren Busreisen zu Klöstern deshalb nicht möglich. Wir hatten also großes Glück, dass das Treffen überhaupt und auch unsere Ausflüge stattfinden konnten. Mit 4 Bussen, Sicherheitsbeamten und Polizeieskorte fuhren wir los.

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Pr. Usama Nabil und Br. Jean Druel

Unsere ersten beiden Stationen waren eher touristischer Natur. Wir sahen die Pyramiden von Gizeh und besuchten das ägyptische Museum in Kairo. Anschließend besuchen wir das Institut für orientalische Studien der Dominikaner in Kairo. Interreligiöser Dialog war hier das Thema. Dazu sprachen der Leiter des Instituts, Br. Jean Druel und der Leiter der Universität Al Azhar Pr. Usama Nabil. Danach sprach eine muslimische Lehrerin einer Montessori-Schule, die mich persönlich am meisten beeindruckte. Sie erzählte von ihrer positiven Erfahrung, Kinder verschiedener Religionen in einer Klasse zu Toleranz und selbstverständlichem interreligiösen Zusammenleben zu erziehen. Eine Frage- und Diskussionsrunde im Anschluss hätte noch lange weitergehen können, wenn wir nicht von der Polizei dringlich aufgefordert worden wären, unseren Zeitplan einzuhalten. Auch die Polizisten und Sicherheitsbeamten wollten irgendwann Feierabend machen.

Der zweite Ausflug führte uns tiefer in Richtung Wüste zum Wadi Natrun, früher "Sketis" genannt. Das Kloster St. Macarios war unser Ziel, eines der ältesten Koinobien aus dem 4. Jhdt, gegründet vom Hl. Macarios dem Großen. Es war der Ausflug, der bei mir persönlich die meisten Spuren hinterließ. Als wir das streng bewachte Eingangstor passierten, fuhren wir erstmal eine gefühlte Ewigkeit gerade aus, entlang an wunderbar pink und weiß blühenden Büschen. Es ist ein riesiges Gelände. Irgendwann erreichten wir dann die ebenso riesige Klosteranlage. Außenrum: Weite Wüste!

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Wüstenlandschaft rund um das Kloster St. Macarios

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Kloster St. Macarios

Das Kloster war über die Jahrhunderte immer besiedelt, zum Teil allerdings mit sehr wenigen Mönchen. Einen großen Aufschwung erlebte die Gemeinschaft ab 1970, als Father Matta El Meskeen, ein erfahrerer Mönch, der selbst Jahre lang in der Wüste gelebt hatte, die Leitung übernahm, neue Gebäude errichtete und mit seinem starken spirituellen Charisma viele Mönche anzog. Heute zählt die Gemeinschaft 140 Mönche. 9 von ihnen leben als Eremiten allein auf dem Gelände. Father Matta El Meskeen starb 2006 in hohem Alter. Die aus unserer Gruppe, die ihn noch kannten, sprachen in Ehren von ihm. Bei der Führung durch die Klosteranlage – wir sahen ein Refektorium aus dem 4. Jahrhundert und eine Mönchszelle – und bei den Erzählungen eines Mönchs, wurde mir sehr lebendig deutlich, dass hier das, was der Hl. Benedikt als Vorlage für seine Vorstellung als Mönchsgemeinschaft hatte, seinen Ursprung nahm und auch heute noch ganz lebendig verwirklicht wird. Die Mönche leben z.B. eine Askese, die uns heute vielleicht etwas fremd ist, aber in Benedikts Regel durchaus benannt wird.

Mönchszelle und Refektorium aus dem 4. Jhdt

Es war schön, dass wir an diesem Ort viel Zeit zur Begegnung, zum Fragen, zum Zuhören und Lernen hatten.

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Von links: Sr. Verena, Sr. Nadya, ein Mönch vom Kloster St. Macarios und eine Teilnehmerin aus dem Libanon

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Von links: ein Jugendlicher aus Ägypten, ein Mönch vom Kloster St. Macarios, Frère Alois von Taizé

Ein hochbetagter Mönch nahm sich die Zeit, uns zu treffen und viele Fragen zu beantworten. Wir saßen etwas improvisiert mit vielen Leuten eingeengt in einem viel zu kleinen Raum, denn alle wollten ihm zuhören. Es kam mir vor, als säßen da lauter junge Schüler um einen Altvater herum, aufmerksam mit großen lauschenden Ohren, begierig darauf, etwas von ihm zu lernen. Vor allem die Begegnung mit diesen beiden Mönchen hat bei mir einen tiefen Eindruck hinterlassen. Warum, ist schwierig in Worte zu fassen. Es war neben ihrer Offenheit und unkomplizierten Authentizität wohl schlicht und einfach ihre tiefe spirituelle Ausstrahlung, bei der für mich etwas von Christus durchleuchtete.

Am letzten Tag hatten wir noch einmal die Gelegenheit in diese riesige Millionenstadt Kairo zu kommen. Man sagt, in Kairo halten sich tagsüber ca. 21 Millionen Menschen auf, nachts ca. 16 Millionen. Das bedeutet, es sind täglich ca. 5 Millionen Menschen unterwegs in und aus der Stadt. Alles auf 4 Rädern, denn Kairo hatte keine nennenswerten öffentlichen Verkehrsmittel. So wird also eine 5-spurige Straße mit 8 Spuren befahren und es empfiehlt sich anscheinend, lieber mit einem alten verbeulten Auto unterwegs zu sein, denn alles andere, wäre wohl zu schade für solche Straßenverhältnisse.

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Auf den Straßen Kairos

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Ikone der Hl. Familie aus der Kirche Abu Serga

Wir fuhren in das streng bewachte koptische Viertel. Es gehört zum ältesten Stadtteil Kairos und wird überwiegend von koptischen Christen bewohnt. Dort befinden sich auch mehrere gut gepflegte Kirchen und das koptische Museum. Die Überlieferung sagt, dass sich hier die Heilige Familie bei ihrer Flucht nach Ägypten für 3 Monate versteckt gehalten habe. Über ihrem Aufenthaltsort wurde eine Kirche gebaut, die heute  „Höhlenkirche Abu Serga“ genannt wird. Wir besuchten die Kirche, eine alte jüdische Synagoge und das koptische Museum. Letzteres war für mich ein Highlight, denn dort wurden wunderschöne alte Fresken, Ikonen und Zeugnisse frühchristlicher Kultur ausgestellt. Sr. Nadya und ich hatten das Glück einen jungen Ägypter an unserer Seite zu haben, der sich nicht  nur in der ägyptischen Geschichte, sondern auch in diesem Museum wunderbar auskannte und uns viele Einzelheiten erzählte und erklärte

Dieser letzte Ausflug ins koptische Viertel bildete den Schlusspunkt des ganzen Treffens. Einige fuhren direkt von dort zum Flughafen und die Ägypter zu ihren Heimatorten. Der Rest fuhr nochmal mit nach Anafora um sich auf die Abreise in der Nacht oder am darauffolgenden Tag vorzubereiten.

Nach diesen 6 Tagen in Ägypten fuhr ich vollbepackt mit vielen wunderbaren Eindrücken, neuen Freundschaften und neuem Wissen nach Hause. Gefühlt war ich mindestens 3 Wochen dort. Es war eine wunderbare Reise, die sich ganz bestimmt so in dieser Art nicht mehr wiederholen wird. Umso mehr wird sie mir sicher in kostbarer Erinnerung bleiben!

 Sr. Verena Leinen

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